Text des Videos "Mit dem Staunen kommt das Wunder"
Achtsamkeit? Vielleicht später ...
Soweit wir wissen, ist das menschliche Gehirn das komplexeste Organ im ganzen Universum. Es ist ein lebendes Netzwerk von 100 Milliarden Neuronen. Und du hast die Gelegenheit, dieses Wunderwerk der kosmischen Intelligenz von innen zu erleben, die Wachheit des Universums! Diese unglaubliche Lebendigkeit und Kreativität! Du erlebst es jetzt gerade in Aktion: Das Gehirn, dieses Wunder an Verbundenheit, ein unendlich reiches Zusammenspiel vereint in deinem Erleben!
Wie kommt es, dass wir so selten staunen über dieses Wunder? Wie kommt es, dass uns die Achtsamkeit dafür so oft abhanden kommt und wir stattdessen in einem „Zu-Erledigen“-Modus leben, immer unterwegs von A nach B? Wie kommt es, dass die Gegenwart banal erscheint, nur Vorbereitung auf etwas Wichtigeres, nur Mittel zum Zweck? Wieso irrt die Aufmerksamkeit oft in endlosen Gedankengängen umher?
Auch das ist eine Funktion des Gehirns: Der „Denk-Modus“.
Das Denken
Das Denken kann abstrahieren: Es kann Dinge aus ihrem Zusammenhang heraus nehmen und sie isoliert betrachten und beschreiben. Dazu sortiert es sie in Kategorien ein: „Das ist eine Fichte, sie gehört zu den Nadelbäumen.“ Und dieses Kategorisieren und Etikettieren kann dazu führen, dass uns nicht mehr die lebendige Wirklichkeit dieses Moments bewusst ist, dieses Zusammen-Sein mit dem Baum und der Erde und dem Himmel und dem Wald … sondern nur das Etikett: „Alles klar, eine Fichte. Tja.“ Und natürlich ist auch das Gehirn in keiner Weise getrennt vom Organismus, so wie der Baum nicht von seinen Wurzeln getrennt ist.
Das Denken kann auch noch ganz anderes leisten, aber hier meinen wir mit „Denken“ diese spezielle Fähigkeit: das Herauslösen aus dem Zusammenhang, das Abstrahieren.
Die Landkarte ist nicht das Gebiet
Wie funktioniert das? Stell dir ein Programm vor, wie eine Software. Dieses Programm übersetzt Sinneseindrücke in eine Sprache, die eine Landkarte ergibt, eine Re-Präsentation der Wirklichkeit. Das direkte, sinnliche Erleben dient nur als Auslöser, es wird ersetzt durch Symbole. Diese Symbole stehen in der Landkarte für Objekte, für Ziele und Probleme und Lösungen und Vorgehensweisen.
Das soll uns Orientierung und klare Handlungsanweisungen geben: „Das ist ein klarer Fall von A, also wie komme ich nach B?“ Es ist wie ein Navi: „In 500 Metern links abbiegen.“
Die wichtigen Infos sind: „Was muss ich tun, um mein Ziel zu erreichen?“
Dieses Verfolgen von Strategien, um Vorgaben zu erfüllen, ist oft nützlich, zum Beispiel ist es in der Arbeit oft sehr gefragt, aber auch bei vielen Spielen.
Das Denk-Programm ist also ein nützliches Werkzeug. Wenn wir es aber mit „der Wirklichkeit“ verwechseln, ist das, wie eine Landkarte mit der Wirklichkeit zu verwechseln, oder eine Speisekarte mit dem Essen zu verwechseln.
Gefärbtes Erleben
Oder stell dir das Denken wie eine Sonnenbrille vor: Wenn du eine Sonnenbrille trägst, dann erscheint die Welt in der Farbe der Gläser. Wenn du sie lange trägst, dann gerät diese Tönung in den Hintergrund des Erlebens und wird erst wieder bewusst, wenn du die Brille abnimmst und anschaust. Jedes geglaubte Konzept, jedes Urteil und Vor-Urteil färbt das Erleben: Die Welt scheint dem Konzept zu entsprechen und es zu bestätigen.
Das Denken sieht es als bedrohlich an, aus dem Konzept gebracht zu werden. Seine Vorstellungen zu hinterfragen scheint gefährlich, weil es die Autorität und Wahrheit der Landkarte in Frage stellt. Aus der Perspektive des Denkens verlieren wir ohne Landkarte die Orientierung. Dann gehen unsere Pläne nicht auf, unsere Strategien funktionieren nicht und wir fühlen uns der Situation ausgeliefert. Die Angst vor Kontrollverlust, die das Denken erzeugt, nimmt es zum Anlass, erst recht an seinen Theorien und Vorstellungen festzuhalten. Rechthaben scheint wichtiger als Lernen.
Das erklärt auch den blinden Fanatismus, mit dem viele Menschen ihre Vorstellungen und Überzeugungen verteidigen. Der Hass auf Andersdenkende kommt aus der Identifikation mit der Landkarte, mit dem Glaubenssystem. Wenn die Landkarte in Frage gestellt wird, dann fühlen wir uns angegriffen; wenn sie bestätigt wird, fühlen wir uns sicher.
Also hält das Denken fast immer an seinen Erklärungen und Beschreibungen fest. Und wenn es sie los lässt, dann meist nur, um sie gegen eine andere Erklärung auszutauschen.
Festhalten!
Es ist sehr hilfreich, das wirklich zu erkennen: Die Funktion dieses Denk-Programms ist es, einen stabilen Bezugsrahmen aufrecht zu erhalten, aus dem sich eine Vorgehensweise ergibt, eine Gebrauchsanweisung, ein Soll. Die Funktion des Programms ist es NICHT, sich selbst zu hinterfragen, sondern das Erleben auf Kategorien und Normen zu begrenzen und diese beizubehalten, um schnell entscheiden und handeln zu können. Deshalb werden vielleicht mal Informationen in eine andere Kategorie verschoben, aber immer mit dem Ziel, den Bezugsrahmen stabil zu halten – nicht, ihn in Frage zu stellen.
Das Denken soll uns auf die Zukunft vorbereiten und uns vor ihren Gefahren beschützen. Deshalb spielt es so oft „Was wäre wenn“-Szenarien durch: „Wenn sie dies sagt, dann kann ich das antworten.“ Oder „Wie hätte es sein können“-Szenarien: „Das hätte ich sagen sollen!“
So wird Aufmerksamkeit absorbiert in endlosen Fantasie-Geschichten und in Phantom-Diskussionen mit Menschen, die vielleicht schon gar nicht mehr in unserem Leben sind. Das endet selten mit dem Gefühl, gut vorbereitet zu sein und fertig gedacht zu haben, sondern führt meistens zu Stress und Anspannung.
Denn das Denken ist mit der Lebendigkeit des Jetzt überfordert. Und dadurch entsteht leicht die Illusion, dass DU dem Jetzt nicht gewachsen wärst. Denn was dabei ausgeblendet wird, ist deine Präsenz: die Fähigkeit, in der Gegenwart wach, spontan und flexibel zu sein, einfach ganz direkt und offen wahrzunehmen und ein Gefühl für die Situation zu haben, ohne Erklärungen und Begründungen zu brauchen. Dieses intuitive, direkte Verstehen des Jetzt gerät in den Hintergrund, wenn der Landkarte die Autorität übers Erleben zugeschrieben wird, wenn wir uns mehr auf Gedanken verlassen als auf das Erleben im Moment.
Der Preis der Normalität
Das ganzheitliche Jetzt-Erleben verblasst; der Moment büßt seine Einzigartigkeit und Direktheit ein, wenn er abgeglichen wird mit schon bestehenden Kategorien, verglichen wird mit früheren Erfahrungen und Vorstellungen. Wenn das Denken sich als Vermittler zwischen dich und alles andere stellt, als Ersatz für frisches, direktes Erleben. Dann ist der Organismus wie abgekoppelt von seiner sinnlichen Präsenz und Intelligenz.
Die Unzufriedenheit, die diese distanzierte, fragmentierte Art des Erlebens mit sich bringt, nimmt das Denken zum Anlass, Lösungen zu suchen – natürlich wieder auf seine Standard-Weise: Seine Vorgaben sollen erfüllt werden. Das Leben soll seine Vorgaben erfüllen. Die Welt, deine Mitmenschen, du … alles soll Vorgaben erfüllen.
Das zieht die Aufmerksamkeit weg vom sinnlichen Jetzt-Erleben, das frei von Vorgaben ist.
Lebendigkeit ist unberechenbar
Wenn das Denken still wird, öffnet sich die Aufmerksamkeit ganz von selbst dem Jetzt. Aber diese Gedankenstille wird oft als bedrohlich interpretiert, als würden wir die Kontrolle verlieren, den Zugriff auf „die Wirklichkeit, so wie wir sie kennen “. Denn mit der Landkarte und ihren Schablonen verabschiedet sich auch das Selbstbild, das Weltbild … und es zeigt sich „etwas“, das so lebendig und präsent ist, dass es in keine Schablone passt. Das widerspricht der Direktive des Denkens: „Normalität aufrecht erhalten heißt die Kontrolle behalten.“
Es misstraut dem lebendigen Fluss des Jetzt-Erlebens, weil er frei und ungezähmt durch alle Raster und Normen hindurch fließt. Deshalb versucht das Denken, Lebendigkeit zu kanalisieren, zu kontrollieren, zu managen. Das Denken versucht, Lebendigkeit zu reduzieren und auf Distanz zu halten. Was ein bisschen merkwürdig ist, weil du diese Lebendigkeit bist! Genauso wenig von dieser Lebendigkeit getrennt wie das Gehirn vom ganzen Organismus getrennt ist. Doch sobald es eine Identifikation mit dem Denken gibt, ändert sich das Erleben radikal zu einer fragmentierten Betrachtungsweise isolierter Objekte.
Das Ego
Der lebendige Fluss des Jetzt-Erlebens wird in einzelne Dinge aufgeteilt und in Begriffen fixiert. In Objekten, von denen das Denken manche haben will und manche weghaben will.
In dieser Landkarte sind auch wir selbst verzeichnet: als Person, die ohne diese Dinge unvollständig ist, und die die Landkarte braucht, um zu bekommen, was ihr fehlt. Das Denken liefert die Person gleich mit, auf die sich die Gedanken beziehen – und die gleichzeitig als der Autor dieser Gedanken erscheint, und als ihr Manager, und als ihr Opfer. Die Identifikation mit dieser imaginären Person wird auch „Das Ich“ genannt, oder „Ego“. (Und wenn dieser Begriff „Ego“ verwendet wird, dann entsteht in der Landkarte wahrscheinlich ein neues Ziel: “Das Ego loswerden“.)
Das Denken stanzt das Erleben – und damit auch dich – in feste Formen. Es löst uns aus dem lebendigen Zusammenspiel heraus, so wie es das Gehirn vom Organismus trennt. Das ist nur eine Vorstellung, die uns scheinbar auf eine Person reduziert. Aber das Fühlen reagiert auf diese Vorstellung, als wäre sie wahr, und so fühlen wir uns reduziert, unvollständig und isoliert. Das nimmt das Denken wieder zum Anlass, darüber nachzudenken, was fehlt um sich vollständig zu fühlen.
Und jetzt?
Du kannst das, was hier gesagt wird, in deinem Kategorienspeicher abrufen und sagen: „Ok, verstehe, alles klar.“ Mit anderen Worten: Du hast eine Vorstellung davon, was gesagt wird. Du kannst aber auch fühlen, was das bedeutet – fühlen, wie das Erleben sich ändert, wenn es fragmentiert wird, und wie das Erleben ist, wenn seine Ganzheit gefühlt wird. Wenn es ein großes Zusammenspiel ist, so wie auch alle Hirnzellen und Zellen des Organismus zu einem ganzen Erleben zusammenspielen.
Du kannst erkennen und akzeptieren, dass dieser Mechanismus da ist. Er ist nichts „Persönliches“, sondern er gehört einfach zur Grundausstattung eines Menschen, wie ein Werkzeug: nützlich in seinem Einsatzbereich – aber wenn du es immer in der Hand hältst und nie ablegst, dann behindert es dich.
Es ist wie die Fähigkeit, zählen zu können, in vielen Situationen hilfreich – solange sie nicht zum Zählzwang ausartet, in dem wir nicht mehr mit dem Zählen aufhören.
Du kannst erkennen, wann Gedanken nichts Sinnvolles zum Erleben beitragen, sondern es nur trüben: Ihre Vorgaben machen ein Gefühl von Anspannung, Anstrengung, sich Kümmern-Müssen, Sorgen-Müssen … Das Gefühl, mangelhaft in einer mangelhaften Welt zu sein, macht gierig, geizig, süchtig, ängstlich, wütend. Und doch scheint es oft schwer, einfach damit aufzuhören.
Achtsamkeitsübungen ...
Daher stellen wir dir Übungen, Meditationen und Experimente vor, die dich in die Frische und Weite und Lebendigkeit des Jetzt-Erlebens einladen.
Erfahrungen, die dem Denken helfen, zur Ruhe zu kommen, sich zu integrieren, seinen Platz im Erleben zu finden, Frieden zu finden. Denn nicht alles managen zu müssen, nicht alles im Griff haben zu müssen, macht das Leben so viel leichter, entspannter, genießbarer, friedlicher und fließender! Es gibt eine wirkliche Alternative zur Schablonen-Orientierung, und du kanntest sie schon als kleines Kind. Es ist das Staunen, und mit dem Staunen kommt das Wunder.